22.06.2023
Ver. 1.0
Fabian Müller
Open Access
Text-Lizenz: CC-BY.
Herausgegeben von der Forschungsgemeinschaft VideospielMusikWissenschaft.
Empfohlene Zitierweise: Fabian Müller, Tagungsbericht: Ludocon 2023, Ver. 1.0, veröffentlicht 2023, hrsg. von der Forschungsgemeinschaft Videospiel
Die Nummerierung am Anfang jedes Absatzes kann stellvertretend für Seitenzahlen genutzt werden.
[1] Vom 23. März bis 25. März fand an der University of Edinburgh die mittlerweile 12. European Conference on Video Game Music and Sound mit dem Thema Sound and Music Beyond the Human statt, an der zahlreiche Wissenschaftler:innen teilnahmen und ihre aktuellen Forschungsprojekte präsentierten. Der Ablauf mit den Beiträgen ist hier abrufbar. Gastgeber der diesjährigen Tagung war James Cook, der mit seinem Organisationsteam alle Gäste in der St. Cecilia’s Hall willkommen hieß und dort für einen reibungslosen Ablauf der Tagung sorgte. Der Tagungsort war in seiner doppelten Funktion als Concert Room und Music Museum sehr gut gewählt und entwickelte sich in den Kaffeepausen, die inmitten der historischen Instrumentensammlung stattfanden, zu einem Forum des fachlichen Austausches. Es wurde ein hybrides Format gewählt, damit auch Teilnehmer:innen, denen es nicht möglich war, nach Schottland zu reisen, an der Tagung teilnehmen konnten. Dies wurde von der Community sehr gut aufgenommen. Vor allem die Fragen und Bemerkungen aus dem Zoom-Chat waren eine Bereicherung für die Diskussionen, weshalb mehrfach der Wunsch geäußert wurde, dieses Format für zukünftige Veranstaltungen beizubehalten.
[2] Nach einer herzlichen Eröffnung startete die erste Session Performing for Virtual Worlds, in der Henri Pitkänen über die verschiedenen Kulturen in der vierten Edition von Twilight Imperium und deren beschriebenen Musikkulturen referierte. Eigentlich hätte die Tagung mit Karina Moritzens Vortrag über Carli XCX’s digitale Performance in Roblox beginnen sollen, doch aufgrund von Flugverspätungen musste der Vortrag verschoben werden, weshalb die erste Session mit Tommy Dainkos Beitrag zur Verwendung von „Tuvan Music“ im Videospiel Pathless endete. Es folgte die zweite Session, in der Sascia Pellegrini und Tomasz Bonikowski in Videobeiträgen über die Musik und Sounds bei nicht-menschlichen Begegnungen in Duke Nukem 3D und In Other Waters referierten.
[3] Nach dem Lunch begann die dritte Session Interactions with Alterity. Den Auftakt machte Peter Adams, der in seiner PhD-Arbeit das Konzept der „neo-silent“-Ästhetik untersucht und dabei Vergleiche zu Stummfilm und der musikalischen Diegese aufzeigte. Während bei Adams die Stille zum Forschungsgegenstand wurde, forderte Matt Bethancourt mit seinem Vortrag Listening to the non-Human das Publikum wörtlich zum Zuhören auf. Anhand von TIKATMOS ging er den Fragen nach, wie Dialoge zwischen Spieler und nicht-menschlichen Entitäten nicht auf einer sprachlichen, sondern klanglichen Ebene geführt werden können. Anschließend referierte Daniel Sozdashov über die Musik in Bloodborne (2015). Er veranschaulichte die musikalischen Verbindungen zum integrierten Insight-System und wie die Unschuld in „Lullaby of Mergo“ musikalisch dargestellt wird. Der analytische Ansatz war vielversprechend, doch basierten viele Thesen wie beispielsweise der Vergleich zu Ligetis Lux Aeterna auf einer rein individuellen Hörwahrnehmung. Statt dieser wäre eine musikalische Analyse methodisch ergiebiger gewesen. Den Abschluss des Tages bildeten Blaire Ziegenhagel und James Ellis, die in der vierten Session Embodiments über Verkörperung und Immersion durch die Musik in Videospielen referierten.
[4] Der zweite Tag begann mit der Session Sounds of Fantasy, in der die Referent:innen die Tagung durch drei unterschiedliche Fantasy-Welten führten. Spätestens als Alexandra Burkot in ihrem Vortrag The Re-Embodied Voice: Mythology, Identity, and Power in Skyrim die Worte „Fus Roh Dah“ aussprach, folgte der gesamte Saal aufmerksam ihrer aus der Voice Studies basierende Untersuchung zur diegetischen Stimme. Anschließend nahm Manuel Becker, das Publikum mit auf eine musikalische Reise in die Unterwelt. Anhand der vom Komponisten Garry Schyman bereitgestellten Original-Partitur zu Dante’s Inferno (2010) zeigte Becker analytisch, wie das Konzept zur musikalischen Darstellung der neun Höllenkreise nach Dante Alighieris Divinna Commedia umgesetzt wurde. Zusätzlich beschrieb er, welche kompositorischen Einflüsse von Pendereckis Lukas-Passion und Ligetis Lux Aeterna sich im Notenmaterial wiederfinden. Nachdem die tiefsten Kreise der Hölle erkundet waren, endete die Session mit Matt Lawsons Vortrag über den Exotismus und die kulturelle Aneignung in Lord of the Rings Online (2007) schließlich in Mittelerde.
[5] Vor dem Lunch fand die Community Engagement Discussion statt, in der Tim Summers einige Fakten zum aktuellen Stand der Ludomusicology Research Group präsentierte und mögliche Wege für die Zukunft aufzeigte, über welche die Community anonym online abstimmen durfte und verschiedene Meinungen gesammelt wurden. Nach dem Lunch referierte Milly Gunn über die Stimmen von weiblichen Robotern, die sie in ihrem Vortrag kategorisierte und analysierte. Am Ende ihres Vortrags gab es auch ein kleines Easter-Egg zu entdecken, sofern man sich nach der Untersuchung von GLaDOS Stimme an die catchphrase „The cake is a lie“ in Portal (2007) erinnerte. Neben GLaDOS durfte in dieser Session System Shock 2 (1999) nicht fehlen, weshalb James Redelinghuys in seinem Videobeitrag die vielen Stimmen im Spiel herausarbeitete, ehe Michael Austins Vortrag Toying with Alexa: Playing Music Games with Virtual Assistants Einblicke in die Welt von Sprachassistenten und Musikspielen wir SongPop gab.
[6] Session sieben, Displayed and Recontextualized Voices, setzte erneut einen Schwerpunkt auf Stimmen in Videospielen und es zeichnete sich ab, dass die Voice Studies in der Ludomusicology aktuell einen Schwerpunkt bilden und die Grundlage vieler Projekte der anwesenden Nachwuchswissenschaftler:innen ist. Während Yu Cheuk Ling das Phänomen der „seiyuu“ in Japan thematisierte und kulturhistorische Entwicklungen aufzeigte, die nicht nur in Animes, sondern auch in Videospielen vorzufinden sind, legte Charles Meyer seine Fallstudie Uncanny Voices and Broken Dummies: Listening to Control’s Hiss through ventriloquism dar, in der er die Vokalität als kritische Komponente der Rhetorik in Control (2019) betrachtete und die vokal-ästhetischen Aspekte darstellte.
[7] Auch am letzten Tag gab es interessante Vorträge und Einblicke in aktuelle Forschungsprojekte. Insgesamt standen drei Sessions und eine zusätzliche Keynote mit dem Komponisten Yann van der Cruyssen (u. a. Stray, 2022) auf der Tagesordnung. Die erste Session des Tages, Prickly Questions of Sonic Experiences, beinhaltete Beiträge von James Newman, Kai Tuuri, Oskari Koskela, Jukka Vahlo und Lidia Lòpez Gòmez, in denen der thematische Schwerpunkt auf klangliche Erfahrungen gesetzt wurde. Nach dem Lunch veranschaulichten Stefan Höltgen und Thomas Fecker in der Session Expressive Technological Timbres anhand mitgebrachter Hardware- und Software-Sprachsynthesizer (Votrax SC-01, 1-Bit-Voice Campling, S.A.M.), die auf der Bühne mitreferierten, wie Videospiele von Sprachsynthese profitieren. Anschließend betrachtete George Reid die Chiptune-Nostalgie aus der Queer-Perspektive und widmete sich in dem dargelegten Vortrag den jüngeren Generationen der Videospiel- und Demoszene-Kultur, die in bisherigen Untersuchungen weniger beachtet wurden. Christopher Hill & Sam Pollacco lenkten anschließend den Fokus wieder auf die Voice Studies und untersuchten hierbei das Phänomen des „Beep Speech“ und welche Wege der Vermittlung von Emotionen und Persönlichkeiten von Game Designern entwickelt wurden.
[8] In der letzten Session, Perceiving Worlds, kamen mit den Beiträgen von Kate Galloway und Merlin Selle nun die Tiere zur Sprache. In Kate Galloways Vortrag On Listening to the Digital Animal in Games: Or, What Do Multispecies Sonic Cultural Phenomena in Games Tell Us About Human Ideas of Sonic Communication and Listening? steckte bereits die Kernfrage, die sie in ihrem Vortrag darlegte. Dass tierische Stimmen, insbesondere Ratten, auch als Horror-Element in Videospielen wahrgenommen werden, demonstrierte anschließend Merlin Seller anhand der A Plague Tale Reihe (2019 u. 2022).
[9] Rückblickend war die Ludo2023 eine gut organisierte Tagung, die der Community ein ideales Forum zum gegenseitigen Austausch, zur Vernetzung und zu Diskussionen bot. Man kann gespannt verfolgen, wie sich die Conference der Ludomusicology Research Group in den kommenden Jahren weiterentwickeln wird und welche Richtungen eingeschlagen werden. Das hybride Format bietet viele Vorteile, da somit Personen teilnehmen können, die aus verschiedensten Gründen nicht anreisen können. Allerdings ist der Austausch der Community vor Ort ebenso wichtig. Zwar sind die Videobeiträge meist sehr kreativ und von hoher Qualität, doch werden ortsgebundene wissenschaftliche Tagungen in absehbarer Zeit somit obsolet. Der Diskurs verlagert sich vollständig in den digitalen Raum. Die Gespräche und Diskussionen, die abseits der Vorträge geführt werden, sind nicht zu unterschätzen und bilden häufig den Grundstein für zukünftige Projekte und den internationalen Austausch.
Fabian Müller (B. A.) studierte an der Eberhard Karls Universität Tübingen Geschichtswissenschaft, Philosophie, Internationale Literaturen und Musikwissenschaft. Seine Bachelorarbeit untersuchte die Bezüge zu Richard Wagner im Videospiel Gabriel Knight: The Beast Within, 1995. In seinem darauffolgenden Masterstudiengang verbrachte er ein Semester an der University of Maynooth in Irland.
Aktuell setzt er seine Forschungsschwerpunkte auf die Analyse von Videospielmusik, die Musik im Postmodernismus und neue Notationsformen des späten 20. Jahrhunderts. Zum letztgenannten Thema plant er eine Masterarbeit, die zu einer Promotion erweitert wird.