07.01.2025
Ver. 1.1
Anna Rehbock
Open Access
Text-Lizenz: CC-BY.
Herausgegeben von der Forschungsgemeinschaft VideospielMusikWissenschaft.
Empfohlene Zitierweise: Anna Rehbock, Konzertbericht: Mario Kart live, Ver. 1.0, veröffentlicht 2025, hrsg. von der Forschungsgemeinschaft Videospiel
Die Nummerierung am Anfang jedes Absatzes kann stellvertretend für Seitenzahlen genutzt werden.
Am 30. Oktober 2024 bot sich in Hamburg wieder eine Möglichkeit, Videospielmusik live zu erleben, jedoch nicht im klassischen Konzertformat, sondern in Verbindung mit Live-Gameplay. In dem Konzept spielen Gäste aus dem Publikum Mario Kart Wii, was auf einer Leinwand mitverfolgt werden konnte.Eine Combo Band begleitete das Spielgeschehen live und reagierte musikalisch in Echtzeit auf das Spiel. Dafür bot das lockere Ambiente des Jupiter eine passende Grundstimmung.
Bereits vor Konzertbeginn ist die positive Erwartungshaltung der Gäste deutlich spürbar, einige Mario Anspielungen sind immer wieder auf T-Shirts oder Verkleidungen zu finden. Der Kultstatus von Mario Kart mit seiner langjährigen Weiterentwicklung wird schnell deutlich, da die Musik von dem Spiel dem Publikum intuitiv vertraut ist. Gespielt wurden acht Cups à vier Runden, wobei jeweils vier Player aus dem Publikum gegeneinander antraten. Wer selbst zum Controller greifen wollte, konnte sich zu Beginn in eine Liste eintragen, die für einen reibungslosen Ablauf gesorgt hat. Den rund 75 Gästen wurden damit je ein bis zwei Runden Mario Kart ermöglicht. Hier zeigt sich bereits der interaktive Charakter, den das Spiel erzeugt, da einerseits das Publikum direkt mit einbezogen wird und andererseits das Spiel den Ausgangspunkt für die gesamte Musik bildet, die Band richtet sich ausschließlich nach den Vorgaben, die sie durch das Geschehen im Spiel bekommen.
Die Besetzung (Schlagzeug/Percussion, Keyboard, Bass, Gitarre, Altsaxophon, Tenorsaxophon und Trompete) greift den Grundcharakter der Originalmusik auf und transportiert nahezu alle Elemente, während gleichzeitig durch die analogen Instrumente der Live-Charakter deutlich wird. Durch den Einsatz von Woodblock oder einem digitalen Saxophon schafft die Band es, dabei dennoch deutliche Nähe zu dem originalen Klang des Spiels zu erzeugen. Der Ablauf ist je Rennen gegliedert in Vorbereitungsphase, Rennphase und Zielphase, die Band begleitet dabei nahtlos jeden Abschnitt und spielt, wie auch in dem originalen Soundtrack bis auf kurze Ladephasen, in denen auch kein Bild zu sehen ist, durchgehend.
In der Vorbereitungsphase übernehmen die jeweiligen Spielerinnen und Spieler, treffen teilweise Spielauswahl und starten das Rennen. Dabei erklingt die Musik des Auswahlmenüs. Die Rennphase wird mit der ikonischen Startfanfare eingeleitet und beinhaltet unterschiedliche Elemente. Die Grundlage für die einzelnen Strecken und Retrostrecken bildet die Musik. Sobald eine Figur die letzte Runde erreicht, steigert sich analog zum Geschehen die Geschwindigkeit der Streckenmusik. Außerdem werden von der Band kleinere Streckeneigenschaften wie das Fahren über Holzplanken lautmalerisch dargestellt. Ebenso wird der Stern und damit ein In-Game Item musikalisch mit der entsprechenden Musik während des Aktivierungszeitraums aufgegriffen. Nach Ablauf des Items wird wieder zu der Streckenmusik gewechselt. Mit der ersten Zieleinfahrt beginnt die Zielphase. Hier wird die Abschlussmusik gespielt, bis alle im Ziel angekommen sind und die Platzierungen angezeigt wurden. Sie erklingt auch nach jedem Cup, sobald die Siegerehrung abgespielt wird. Danach gibt es einen nahtlosen Übergang zurück zu der Vorbereitungsphase. Damit erklingt bis auf die minimalen Lade-Pausen und eine kurze Pause nach dem vierten Cup durchgehend Musik, was der pausenlosen Musikuntermalung in dem Spiel entspricht, allerdings in Anbetracht der Konzertdauer von rund dreieinhalb Stunden auch eine Belastung für die Band darstellt. Die musikalische Umsetzung der Spielvorlage ist insgesamt sehr gelungen. Bereits durch die 32 individuellen Streckenmusiken sowie die visuelle Vorlage des Gameplays sorgte die Band für Abwechslung und Unterhaltung. Insbesondere während der Rennphase wird erkennbar, dass die Band nicht versucht, jeden einzelnen Sound oder Stinger darzustellen, sondern es wurde sich bewusst auf ausgewählte Vorlagen konzentriert, die durch die Häufigkeit ihres Auftretens für den Konzertrahmen und die Erwartungshaltung auch vollkommen ausgereicht haben. Die musikalische Qualität ist dabei insbesondere in Anbetracht des nicht-professionellen Hintergrunds der studentischen Mitglieder und der Konzertdauer dank ihrer Jazzerfahrung sehr positiv hervorzuheben. Insgesamt wurde die leichte, lockere Atmosphäre, die durch das Setting mit Live-Gaming und dem Unterhaltungsspiel Mario Kart vorgegeben wurde, auch musikalisch aufgegriffen. Die Band mischte in die originalen Soundtracks immer wieder auch eigene kleinere Improvisationen und änderten beispielsweise teilweise die Ausgestaltung der Startfanfare durch Zusatztöne ab, außerdem wurde als Running-Gag über den Abend verteilt mehrere Male das Stück „Tequila“ von The Champs ohne Bezug zu Mario Kart angespielt. Bei dem Publikum kam diese leichte und auch publikumsnahe Art sehr gut an und in Verbindung mit dem Videospiel zeigt das Konzept, dass die lockere Spielatmosphäre auch bei einer Live-Veranstaltung aufgegriffen werden kann und nicht verloren gehen muss.
Im Laufe des Konzerts konnte auch ein Eindruck gewonnen werden, wie die Band mit der Schwierigkeit der Notation umgegangen ist. Grundsätzlich werden originalen Noten von Videospielmusik selten veröffentlicht, nur selten werden einzelne Ausschnitte meist in einer reduzierten Besetzung zugänglich gemacht. Zu finden sind teilweise Fantranskriptionen, die jedoch auf ihre Richtigkeit kritisch überprüft werden müssen. Laut der Band haben in diesem Fall zwei Mitglieder den Großteil des Notenmaterials für ihre Besetzung durch Transkription selbst erstellt. Dabei wurden die Stimmen der Blasinstrumente und eine ausgeschriebene Begleitung der Rhythmusgruppe notiert, außerdem ist der Schlagzeugrhythmus größtenteils ausgeschrieben und die Noten werden durch Anweisungen in Bezug auf Dynamik und beispielsweise die Soundeinstellung für das Keyboard ergänzt. Damit halten die Noten das Grundmaterial eines Durchlaufs recht ausführlich fest. Die Änderungen in der Musik aufgrund von Spielaktionen sind dabei anhand des Bildmaterials spontan eingefügt und sind naheliegenderweise nicht in den Noten zu finden. Grundsätzlich ist innerhalb der Band auch eine verstärkte Kommunikation aufgefallen. Die Signale für den Beginn eines Abschnitts oder das Auftreten des Sterns kommuniziert einzig der Schlagzeuger anhand des Bildmaterials des Spiels über Einzählen oder verbale Signale wie „Stern“ an die restlichen Bandmitglieder. Dadurch kommt es zu kleineren Verzögerungen während des Einzählens, jedoch setzt die Band daraufhin geordnet und gleichzeitig ein. Der Schlagzeuger fungiert damit als Vermittler zwischen den visuellen Vorgaben durch das Spiel und der restlichen Band. Außerdem fällt auf, dass nach Unterbrechungen durch den Stern die Streckenmusik wieder von vorne beginnt, statt an den Fluss von vor der Unterbrechung anzuschließen. Damit wird das kollektive Zurückfinden in die Streckenmusik unterstützt.
Insgesamt ist das Konzert ein Beispiel dafür, dass die Verbindung aus Videospielen und Live-Musik eindeutig vom Publikum gefragt und auch genossen wird. Insbesondere die Möglichkeit, selbst zu spielen und damit die Musik über das Spiel zu lenken ist positiv hervorzuheben. Außerdem konnte die Grundstimmung aus Gaming, einem jungen Publikum und Jazzeinflüssen überzeugend umgesetzt werden. Das Konzert zeigt, dass die spontanen Wechsel in der Musik, die nicht auf Noten festgehalten werden können, durch Absprachen in Echtzeit in einem Konzert umgesetzt werden können, wobei Mario Kart durch die angemessene Menge an musikalischem Material und durch den Bekanntheitsgrad für diesen Rahmen sehr gut geeignet war. Die Band plant, das Konzert zu wiederholen, aktuelle Infos gibt es dafür auf ihrem Instagram-Account (@mariokart.live.hamburg).
Anna Rehbock studiert historische Musikwissenschaft mit Nebenfach systematische Musikwissenschaft an der Universität Hamburg. Neben der Beschäftigung mit der Musik in Videospielen zählen Komponistinnen des 19. Jahrhunderts und symphonische Musik zu ihren Forschungsinteressen.