17.11.2024
Ver. 1.0
Tim Reichert
ORCID-ID: 0000-0002-3613-3038
Open Access
Text-Lizenz: CC-BY.
Herausgegeben von der Forschungsgemeinschaft VideospielMusikWissenschaft.
Empfohlene Zitierweise: Tim Reichert, „Till the day that we meet again“. Final Fantasy VII Rebirth Orchestra World Tour in München, Ver. 1.0, veröffentlicht 2024, hrsg. von der Forschungsgemeinschaft Videospiel
Die Nummerierung am Anfang jedes Absatzes kann stellvertretend für Seitenzahlen genutzt werden.
[1] Vor 25 Jahren erklang die Musik der Videospielreihe Final Fantasy erstmals auf der Konzertbühne: Am 20. Mai 1989 durften Zuhörer:innen in Tokyo der Symphonic Suite Final Fantasy beiwohnen. Auch das erste Videospielkonzert in ganz Europa, das 2003 stattgefundene Symphonische Spielemusikkonzert in Leipzig, enthielt unter anderem „Aeris’s Theme“ aus Final Fantasy VII. Mittlerweile können Fans weltweit dank der fortlaufenden, seit 2007 bestehenden Konzertserie Distant Worlds. Music from Final Fantasy die Musik der Spielreihe live erleben. Die Final Fantasy VII Rebirth Orchestra World Tour verortet sich damit in eine für Videospiele vergleichsweise lange Konzertgeschichte.
[2] Besonders sticht die Aktualität des Ausgangsmaterials hervor. Final Fantasy VII Rebirth erschien Anfang dieses Jahres, am 29. Februar 2024, und erklang somit nur ein halbes Jahr später auf der großen Bühne. Das Spiel selbst ist der zweite Teil einer Remake-Triologie. Doch nicht nur seine Grafik wurde aktualisiert, auch die Musik wurde neu arrangiert und aufgenommen. Fans des Originals, die die Remakes nie gespielt haben, kamen beim Konzert so ebenfalls auf ihre Kosten. Darüber hinaus finden sich im Spiel aber auch Neukompositionen, die hier erstmals aufgeführt wurden. So lohnte sich der Besuch auch für diejenigen die bereits öfters Konzerte der Videospielreihe erleben durften.
[3] Am 14. September fühlte man sich, noch bevor man die Olympiahalle in München betrat, in die Welt des Spiels versetzt. Man fand sich umgeben von als Aerith, Tifa oder Cloud verkleideten Personen – Hauptfiguren des Spiels. Vor dem eigentlichen Konzertraum schwenkten viele beim Fanartikelverkauf vorbei. Neben Soundtrack-CDs, T-Shirts und Musikboxen, konnte man auch heiß begehrte und schnell ausverkaufte Leuchtstäbe in Form von Clouds Schwert erwerben. Diese wurden jedoch ohne Batterien ausgegeben, weswegen man während des Konzerts nur wenige aktiv zu sehen bekam.
[4] Im eigentlichen Konzertsaal angekommen, erwartete einen eine von atmosphärischem lila Scheinwerferlicht und mysteriösem Nebel durchtränkte Bühne. Wie man bald herausfinden durfte, würde ersteres über die bloße Beleuchtung hinaus eine besondere Rolle erfüllen. Schließlich betraten unter großem Applaus das Shinra Symphony Orchestra, inklusive eines gemischten Chors, und der Dirigent Eric Roth die Bühne. Roth hatte bereits Anfang das Jahres erfolgreich das NieR:Orchestra Concert. 12024 [the end of data] dirigiert. Besonders erfreulich ist seine Mitwirkung an diesem Konzert, da er der führende Musikdirektor und Arrangeur der erwähnten Konzertreihe Distant Worlds ist. Er war aber nicht die einzige wichtige Persönlichkeit vor Ort. Auch Mitsuto Suzumi, einer der Arrangeure und Komponisten für das Spiel, wurde bei Roths Ansprache vorgestellt und mit tosendem Applaus begrüßt.
[5] Das erste Stück des Konzerts hätte besser nicht gewählt sein können. „Unknown Journey Continues“ erklingt während des Intros des Spiels und stellt unterschiedliche Themen vor, die sich durch den ganzen Soundtrack des Spiels und damit auch durch das gesamte Konzert zogen. Es war nicht die einzige Medley, wie man an der Setlist erkennen kann. Die Übergänge zwischen den jeweiligen Stücken waren immer flüssig und durch den Wechsel zwischen ruhigen und intensiven Passagen, wurde genügend Abwechslung geboten. Allgemein schien Abwechslung ein Hauptanliegen der Organisatoren gewesen zu sein. Das betraf nicht nur die erwähnte Intensität der Arrangements, welche zwischen dramatischen Kampfthemen mit voller Orchester- und Chorbesetzung, lyrischen Soloklavierpassagen oder fröhlicher Musik, die zum Tanzen einlud, wechselten. Immer wieder wurde die Struktur von Jazzpassagen durchbrochen. Während der ersten größeren Medley spielte die erste Violine ein improvisationsartiges Bluegrass-Solo über das Stück „Cosmo Canion Region“. „Queen’s Blood“ begann mit einem typischen Jazz-Trio, bestehend aus Schlagzeug, Kontrabass und Klavier, bevor es sich zu einem Big Band Arrangement entfaltete. Zusammen mit dem Bossa-Nova-Stück „Welcome to Costa del Sol“ kamen Jazz-Fans eindeutig auf ihre Kosten. Trotz der sehr gelungenen Performance, war die Akustik nicht im gesamten Raum ideal. Die tiefen Frequenzen überwiegten oft, wodurch den Klang sehr bassig und matschig wirkte. Das kann damit zusammengehangen haben, dass der Raum eigentlich kein klassischer Konzertsaal ist. Die Olympiahalle wird meist für Sportevents genutzt – daher der Name – oder für Rock- und Popkonzerte. Auf symphonische Konzerte ist sie damit nicht ausgelegt. An den Rändern ist die Halle zum äußeren Ring hin offen, in dem sich verschiedene Ess- und Trinkstände befinden. Die jeweiligen Arbeiter räumten noch während des Konzerts auf oder bereiteten sich darauf vor, die Besucher nach dem Konzert zu bedienen. Das klirren des Geschirrs und die Gespräche störten zumindest auf den äußeren Rängen. Das allein trübte die herausragende Performance.
[6] Das Konzert war aber nicht nur akustisch eindrucksvoll. Auch optisch machte es etwas her. Besonders muss natürlich die Leinwand hervorgehoben werden, die über der Bühne hang. Auf ihr wurden Ausschnitte aus den zahlreichen, beachtlichen Zwischensequenzen des Spiels gezeigt. Überleitend waren aber auch immer wieder Gameplaysequenzen zu sehen, ein Element, das man beim erwähnten NieR-Konzert größtenteils vermisste. Dieser visuelle Aspekt brachte jedoch auch die zusätzliche Voraussetzung mit, dass man das Spiel entweder bereits gespielt haben musste, es gar nicht spielen wollte oder einem Spoiler nichts ausmachten. Das ist bei Film- und Videospielkonzerten meist ohnehin die Regel. Dass das Spiel erst vor einem halben Jahr erschien, erschwerte die Erfüllung dieser Voraussetzung jedoch. Darüber hinaus kamen Scheinwerfer mit wechselnden Farben zum Einsatz, die den Raum passend zum jeweiligen Stück einfärbten. Besonders eindrucksvoll war die Beleuchtung während des Stücks „Galian Beast“, dem Bosskampf-Thema der Spielfigur Vincent. Der Raum wurde in seine Primärfarbe getränkt – blutrot. Die Positionierung der Scheinwerfer war jedoch nicht immer ideal. Sie wechselte zwischen den Stücken, womit immer wieder eine andere Zuhörergruppe geblendet wurde. Die Betroffenen mussten auf den Boden gucken oder die Hand vor das Gesicht halten. Unabhängig davon war es aber auch wieder eine Freude, Roth beim Dirigieren zuzusehen. Sein Stil ist sehr enthusiastisch und er tanzte durchwegs von einer Seite seines Podests zur anderen. Das Zusammenspiel von gut gewählten Spielsequenzen, atmosphärischem Licht und lebhaftem Dirigat stellte sicher, dass nicht nur die Ohren, sondern auch die Augen auf ihre Kosten kamen.
[7] Der Abschluss des Konzerts war ebenso gut gewählt wie der Anfang. In „Sephiroth Reborn Symphony“ wurde das ursprüngliche Sephiroth-Thema, einem der bekanntesten und beliebtesten der Serie, immer wieder angeschnitten und verarbeitet. Zusammen mit vorhergehenden Andeutungen steigerte sich die Erwartung auf die originale Komposition ins grenzenlose. Wäre ein Final Fantasy VII Konzert ohne „One-Winged Angel“ überhaupt möglich? In der ersten Zugabe wurden die Wünsche der Zuhörer:innen dann schließlich erfüllt: „One-Winged Angel Reborn“ erklang, ein Arrangement des Originals. „Aerith's Theme - Return to the Planet“, das letzte Stück des Spiels, das am Ende des Abspanns erklingt, führte das Konzert zum Ende. Während dem anschließenden Applaus durfte nicht nur der Dirigent und das Ensemble, sondern auch Mitsuto Suzumi auf der Bühne seinen wohl verdienten Lob ernten.
[8] Auf dem Rückweg durch den Olympiapark konnte man den Abend nochmal Revue passieren lassen und vielleicht bereits in Vorfreunde rätseln, was die Produktionsfirma AWR Music und Eric Roth als nächstes zusammen auf die Beine stellen würden. So wie es bereits ein Konzert für den Vorgänger Final Fantasy VII Remake gab, wird es sicherlich auch eins für den dritten Teil der Remake-Triologie geben. „Till the day that we meet again“ – ein Zitat aus dem Lied „No Promises to Keep“, Final Fantasy VII Rebirth.
Tim Reichert (M. A.) studierte Musikwissenschaft und Slavistik an der Eberhard Karls Universität Tübingen mit Neigung zu Digital Humanities. In seiner Bachelorarbeit beschäftigte er sich mit der bibliographischen Angabe von Videospielmusik am Beispiel von Mega Man X3 (1995) und in seiner Masterarbeit mit der Analyse von Gesang in Pseudosprache am Beispiel von NieR Replicant ver.1.22474487139… (2021). Weitere Interessensgebiete sind russische Musik, digitale Musikwissenschaft und Popularmusikanalyse. Neben der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Videospielmusik arbeitet er als Komponist, Sound Designer und Audio Director an diversen Videospielprojekten mit.